11 Mythen des Innovationsmanagements
- bernd oekermann
- 13. Aug.
- 7 Min. Lesezeit

Innovation überall – aber kaum Wirkung
Innovation ist in aller Munde. Fast jedes Unternehmen hat sie auf der Agenda. Es gibt Teams, Budgets, Prozesse, Tools. Workshops. Methoden.
Und trotzdem passiert – erstaunlich wenig. Innovation versandet. Verkommt zum Ritual. Oder wird zum Spielplatz für externe Berater.
Was viele nicht sehen: Das Problem liegt nicht am Anfang der Kette – bei den Ideen. Sondern an dem, was danach kommt.
Aus der Praxis: Was ich in 30 Jahren erlebt habe
Ich habe viele Jahre in Industrieprojekten in der Automobilindustrie gearbeitet und mich später intensiv mit Innovations- und Optimierungsprozessen befasst. Dabei begegnete mir immer wieder dieselbe Lücke: zwischen Anspruch und Wirkung. Zwischen dem, was als Innovationsmanagement gedacht ist – und dem, was im Alltag wirklich etwas verändert.
Was mich besonders irritiert hat
Die Methodenverliebtheit: Lange Diskussionen über Tools, Frameworks und Strategien – ohne dass jemand entscheidet, was wirklich zählt.
Ich habe mich gefragt: Gibt es konkrete Hilfen für Unternehmer, die Innovation im eigenen Haus wirklich verankern wollen – jenseits von Modellen und PowerPoint?
Der blinde Fleck: Steuerung
Was fast nie thematisiert wird – aber alles entscheidet: Steuerung. Wie erkenne ich die echten Barrieren? Wie komme ich ins Handeln – jenseits von Flipcharts und Vorträgen?
Weil ich dazu kaum praxistaugliche Literatur gefunden habe, habe ich meine eigene Perspektive aufgeschrieben. Kein Systementwurf. Keine Theorie. Sondern ein Blick auf das, was wirkt – und was nicht.
Mein Ziel: Entmystifizieren statt verwalten
Ich will dem Thema Innovation seinen Mythos nehmen. Dieses lähmende Gefühl, es sei zu komplex, zu aufwendig, zu risikobehaftet.
Ich glaube: Innovationsmanagement kann lebendig, wertvoll und beziehungsschaffend sein – wenn wir aufhören, es zu komplizieren.
Warum wir beim Innovationsmanagement oft am falschen Punkt ansetzen
Wenn Unternehmen heute über Innovationsmanagement sprechen, geht es oft um Prozesse, Tools, Kennzahlen. Stage-Gate-Modelle, Innovationsboards, Inno-Units, KPI-Tracking – das Vokabular ist bekannt. Die Logik: Wer Innovation sauber managt, bringt automatisch Neues hervor.
Doch genau da liegt der Denkfehler. Innovation ist kein linearer Ablauf, kein planbarer Verwaltungsakt. Sie folgt keiner Excel-Logik – sondern entsteht durch Führung, Mut und Kontextveränderung.
Innovationsmanagement wird oft mit Kontrolle verwechselt. Doch Innovation lässt sich nicht kontrollieren – sie muss geführt werden.
Was unterscheidet Innovationssteuerung von klassischem Innovationsmanagement?
Innovationsmanagement umfasst die Planung, Organisation und Kontrolle von Innovationsaktivitäten. Es setzt stark auf Prozesse, Methoden und Strukturen – etwa Stage-Gate-Modelle, KPI-Dashboards oder Innovationsworkshops. Ziel: Ideen effizient generieren und umsetzen.
Innovationssteuerung dagegen beginnt mit Führung. Sie fokussiert nicht auf die Verwaltung von Innovation, sondern auf deren Wirksamkeit. Steuerung bedeutet: Verantwortung übernehmen, Entscheidungen treffen, Rahmenbedingungen verändern. Sie fragt nicht: „Welche Methode passt?“ – sondern: „Was wirkt, und wer entscheidet?“
Der Unterschied liegt nicht im Umfang – sondern im Ansatz:
Innovationsmanagement will systematisieren.
Innovationssteuerung will bewegen.
Die 11 Mythen des Innovationsmanagements
Mythos 1: Innovation ist keine Chefsache und lässt sich mühelos delegieren
These: Innovation IST Chefsache.
Beispiel: In dem Augenblick, in dem Cheftermine angesetzt waren, war das Thema Mitarbeiterthema. Es war ganz einfach. Selbstverständlich war dann bei den Durchsprachen die gesamte Chefetage vor Ort. Und voll dabei. Weil der Chef das so wollte.
Führung ist keine Ansage. Sie ist Präsenz.
Mythos 2: Innovation ist ein Verwaltungsakt – man muss sie nur gut managen
These: Innovation lässt sich nicht verwalten – sie muss geführt werden. Mit Haltung, nicht mit Checklisten.
Beispiel: In einem Projekt wurde monatelang ein Innovation-Board aufgebaut, inklusive Rollen, KPIs und Steuerungsmodellen. Das Ergebnis? Keine einzige echte Entscheidung. Keine einzige marktrelevante Innovation. Erst als der Bereichsleiter selbst Verantwortung übernahm, wurden Prioritäten gesetzt – und Bewegung kam in die Sache.
Deshalb heißt meine Website auch nicht innovation-verwalten.de, sondern www.innovation-steuern.de.
Mythos 3: Es braucht eine klare und integrierte Innovationsstrategie, um überhaupt anzufangen
These: Das ist Unsinn. Fangen Sie genau an dieser Stelle an und machen sich ein erstes Bild der Lage.
Beispiel: Besprechen Sie sich mit Kollegen oder ein paar Mitarbeitern. Besser noch: holen Sie sich jemanden, der von außen draufschaut. Machen Sie keine Doktorarbeit draus. Vielleicht eine Skizze. Das reicht oft aus, um sich bereits mitten in der Innovationssteuerung wiederzufinden.
Wie viele Chancen sind schon verloren gegangen, nur weil Sie auf den „richtigen Moment“ gewartet haben?
Mythos 4: Fachkräftemangel und Mangel an Kapazitäten sind ein Innovationshemmnis
These: Der Mangel an Kapazitäten ist eines meiner Lieblingsthemen…
Beispiel: In meiner USA-Zeit hatte ich einen Projektleiter, von dem ich sehr viel gelernt habe. Eine Erfahrung, die ich niemals vergessen werde. In einer der ersten Projektbesprechungen ging es um eine … „Too much information on the table“. Das hatte ich bis dahin nicht und danach in Deutschland nie wieder gehört.
Wer traut sich denn so eine Aussage zu?
Mythos 5: Lange und aufwendige Verwaltungsverfahren behindern die Innovationsaktivitäten
These: Hier geht es um unterlassene Hilfeleistung.
Beispiel: Tesla … Während etablierte OEMs mit Freigaben rangen, wurde dort einfach gebaut.
Risiko? Ja. Aber auch Fortschritt.
Wie lange wollen Sie noch zusehen, wie Geschwindigkeit zum Wettbewerbsnachteil wird?
Mythos 6: Starre Unternehmensstrukturen und mangelnde Risikobereitschaft
These: Wie kann es sein, dass ich es im Zusammenhang mit dem nackten Überleben eines Unternehmens mit mangelnder Risikobereitschaft zu tun habe?
Beispiel: Mich fragte mal ein Chef, wo ich arbeite, wenn es die Automobilindustrie nicht mehr geben wird. Ich hatte 2 Kinder in Ausbildung und kein eigenes Vermögen, um mit 48 in Ruhestand zu gehen. Und mein Chef meinte es ernst. Er sprach nicht nur mit mir. Alle Kollegen wurden gefragt. Mich hat das schwer beeindruckt, und ich habe mich mit mehr Fokus auf Themen gestürzt. Zu der Zeit mit Six Sigma. Wir haben jeden Stein umgedreht. Oft habe ich gestaunt, was möglich war.
Transformation beginnt nicht mit PowerPoint. Sie beginnt mit Haltung.
Mythos 7: Der Wandel wird schon nicht so heftig kommen – vor allem nicht so schnell
These: Schauen Sie der Realität ins Gesicht – sie ist niemals feindlich. Und dann stellen Sie sich und die Organisation darauf ein.
Beispiel: In Krisen hörte ich immer wieder von Mitarbeitern: „Den Daimler wird es immer geben.“ Eine gefährliche Fehleinschätzung.
Sich der Realität zu stellen, ist keine Schwäche – es ist der erste Schritt zur Steuerung.
Mythos 8: Es braucht eine Innovationskultur
These: Stimmt nicht – Sie können auch ohne anfangen.
Beispiel: Wenn der Chef anfängt, das Thema Innovation auf die Tagesordnung zu nehmen, dann fällt das sofort auf. Wenn es ihn wirklich interessiert, dann bald auch seine Mitarbeiter.
Emotion: Kultur entsteht nicht durch Slides. Sondern durch Entscheidungen.
Mythos 9: Andere Themen sind gerade dringender
These: Es gibt nichts Wichtigeres als Innovation. Somit hat es einen festen Platz auf der Tagesordnung.
Beispiel: Ich habe unzählige Projekte gesehen, in denen „wichtigeres“ Vorrang hatte – bis die Märkte wegbrachen, Kunden abwanderten oder Technologiezyklen das Geschäftsmodell überrollten.
Wenn Sie Innovation vertagen, vertagen Sie Ihre Zukunft.
Mythos 10: Die Angst vor gravierenden Fehlern ist berechtigt
These: Nicht anzufangen ist der größte Fehler, den Sie machen können. Das haben Sie ja nun schon hinter sich. Was soll schon passieren? Was wäre das Allerschlimmste, was passieren kann? Was blüht Ihnen dann? Na also – es relativiert sich alles, wenn man mal anfängt.
Beispiel: Viele Unternehmen starten nicht, weil sie Angst vor Fehlern haben – und merken nicht, dass der größte Fehler bereits passiert: der Stillstand.
Mut ist nicht die Abwesenheit von Angst – sondern der Entschluss, trotzdem loszugehen.
Mythos 11: Es braucht ausgefeilte Methoden und komplexe Steuerungsinstrumente, um Innovation zu managen
These: Die Methodendiskussion ist der falsche Fokus. Mit einer Handvoll einfacher und erprobter Methoden navigieren Sie sicher durch den Innovationsprozess.
Beispiel: Die besten Projekte, die ich erlebt habe, begannen mit Flipchart und Klartext – nicht mit Tool-Auswahl.
Was Innovation braucht, ist kein Toolset. Sondern Klarheit, Haltung und Konsequenz.
Was stattdessen funktioniert – ohne Märchen und Methodenzauber
Sie sagen jetzt vielleicht: „Das ist doch alles kalter Kaffee – alles bekannt – nichts Neues dabei?“
Genau das ist Teil des Märchens. Dass es immer noch etwas Neues, Spektakuläres bräuchte. Ein Tool, mit dem dann alles läuft wie geschmiert.
Da sind Sie bei mir an der falschen Adresse. Das interessiert mich nicht.
Der Hase liegt ganz woanders begraben.
Es geht darum, sich mit erprobten, einfachen Werkzeugen und Prozessen direkt auf den Weg zu machen. Die Kuh bei den Hörnern zu packen. Innovation zur Chefsache zu machen.
Und dann festzustellen:
Dass sich viele Probleme mit den ersten Aktivitäten wie von selbst auflösen.
Dass Energie zurückkommt, wenn Klarheit entsteht.
Dass sich echte Freude zeigt, wenn Barrieren verschwinden.
Dass der Spaß an der Sache die Bühne betritt – und bleibt.
Innovation braucht kein komplexes System
Sie braucht das, was in vielen Unternehmen fehlt: Führung, Klarheit und Konsequenz.
1. Führung
Nicht auf dem Papier – sondern im Alltag. Innovation beginnt da, wo Verantwortung sichtbar übernommen wird. Vom ersten Schritt an.
2. Klare Priorisierung
Weniger Themen. Weniger Projekte. Mehr Wirkung. Viele Organisationen sind nicht überfordert – sie sind überfrachtet.
3. Verantwortung übernehmen
Nicht delegieren, nicht verschieben – sondern steuern. Wenn sich niemand wirklich verantwortlich fühlt, wird auch nichts passieren.
4. Kontextveränderung
Innovation entsteht selten im bestehenden System. Wenn Sie etwas Neues wollen, müssen Sie die Rahmenbedingungen dafür schaffen: andere Räume, andere Zeitfenster, andere Fragen.
Ein Beispiel aus der Praxis
In einem Projekt im Automotive-Bereich haben wir einen 500-köpfigen Entwicklungsbereich neu ausgerichtet. Der Auftrag: Innovation sollte nicht mehr „im Hintergrund mitlaufen“, sondern zur tragenden Säule der Bereichsstrategie werden.
Was wir gemacht haben:
Die Innovationsprojekte konsequent auf zwei Kernziele ausgerichtet
Entscheidungswege gekürzt und Führungsverantwortung klar zugeordnet
Methoden vereinfacht, Steuerung etabliert
Was passierte:
Aus 20 Projekten wurden 5
Die Energie im Team stieg – weil endlich Klarheit herrschte
Die Geschäftsleitung wurde aktiver Teil des Innovationsprozesses
Ergebnis: Weniger Aktion. Mehr Wirkung.
Fazit: Innovation ist kein Sonderprojekt. Sie ist Teil von Führung.
Wenn Innovation nicht wirkt, liegt es selten an den Ideen. Sondern daran, dass niemand entscheidet, was zählt.
Wer Innovation wirklich steuern will, braucht keinen Methodenkoffer – sondern eine klare Haltung und ein funktionierendes Führungssystem.


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